Interview: Torben Brinkema, Fotos: Torben Brinkema & Sandra Looke
Dem Traditionsunternehmen Leica ist der Weg aus der Krise hin zur profitablen Kult-Marke gelungen. Trotz globaler Billig-Konkurrenz. Vorstandsmitglied Markus Limberger trägt die Verantwortung für die weltweit 1.600 Mitarbeiter. Am Stammsitz in Wetzlar haben wir mit ihm über das Umdenken im Management, eine neue Unternehmenskultur und die Chancen für Absolventen gesprochen.
Herr Limberger, lassen Sie uns über Innovationen sprechen. Wie gelingt das in einem Traditionsunternehmen mit 167-jähriger Geschichte?
Innovation ist für uns keine Frage des Alters, sondern die Möglichkeit einer neuen Interpretation. Dazu müssen wir unsere Produkte nicht neu erfinden. Oftmals hilft schon eine andere Sichtweise. Klar ist aber: Würden wir uns nicht ständig hinterfragen und technologisch weiterentwickeln, gäbe es uns in fünf Jahren nicht mehr. Diesen Prozess zu steuern, ist die Aufgabe des Managements.
Was meinen Sie damit genau?
Nun, wir beschäftigen uns seit der Gründung mit den Thema Optik und Fotografie. Dafür steht Leica. Aber natürlich können wir die Kompetenz in Entwicklung und Produktion hochwertiger Linsen auch anderweitig einsetzen und so unseren Markt erweitern. Zum Beispiel in Ferngläsern oder neuerdings in Smartphone-Kameras, um auch in diesen Geräten die Bildqualität zu verbessern. Mit etwas Kreativität finden wir neue Felder, an die wir heute noch gar nicht denken. Vor allem aber muss es nicht immer gleich der große Wurf sein, viele Neuerungen finden sich in kleinen Details wieder.
Woher holen Sie sich die neuen Ideen und Sichtweisen?
Vor allem von engagierten Mitarbeitern. Hört sich banal an, aber im Gegensatz zu früher findet mehr Begegnung statt, wir tauschen uns häufiger und intensiver aus. Alle Vorschläge werden ernsthaft geprüft. Egal ob sie vom Praktikanten kommen oder vom Ingenieur. Manchmal gibt es auch Vorschläge von Foto-Fans oder Besuchern des Hauses. Die landen direkt bei mir oder meinen beiden Vorstandskollegen.
Nach der Jahrtausendwende war Ihr Haus ein krisengeschütteltes Unternehmen, geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Wie gelang der Wiederaufbau zur Kult-Marke?
Aus der Krise sind wir durch das große persönliche Engagement des Leica Mehrheitseigentümers und durch einen konsequenten Wandel der Unternehmenskultur gekommen. Die Kameras waren hervorragend, aber nach außen wirkte Leica für viele Menschen schlichtweg arrogant und behäbig. Das haben auch die Mitarbeiter gespürt. Jetzt sind die Hierarchien deutlich flacher, wir sprechen sehr viel mehr miteinander und setzen zahlreiche gute Ideen von Mitarbeitern um. Es gibt keine Denkverbote bei Leica. Die Türen der Chefetage stehen allen Mitarbeitern offen. Der Umgang miteinander ist persönlicher geworden – und transparenter. Auch unsere hochmoderne Unternehmenszentrale. Besucher können jederzeit einen Blick in die Produktion werfen. Das macht die Marke erlebbar und schafft Identifikation – und letzten Endes auch Kaufinteresse.
Klingt, als wäre so ein Wandel schnell und einfach gemacht.
So einfach ist es nicht. Sie brauchen eine übergreifende Strategie und genügend Ausdauer, um alle mitzunehmen bei diesem Wandlungsprozess. Daran scheitern viele Firmen. Gerade in jüngster Vergangenheit habe ich Unternehmen in Schieflage gesehen, die sehr streng, autokratisch und vielleicht auch patriarchisch geführt wurden. Das scheint also nicht das Erfolgsmodell für die Zukunft zu sein.
Was ist dann Ihr Erfolgsmodell?
Der Erfolg liegt ganz klar in den Händen unserer Mitarbeiter, die wir von der Ausbildung und Studium bis zur Rente bei uns halten wollen. Die Mitarbeiter fühlen sich dann wohl, wenn sie sich bei uns verwirklichen können. Dafür müssen wir Manager jeden Tag sorgen. Jeder Angestellte trägt neue Ideen, Sichtweisen und damit neue Perspektiven ins Unternehmen. Hierfür kommunizieren wir auf allen Ebenen. Durch regelmäßige Blogbeiträge im Intranet oder im persönlichen Austausch. Zum Beispiel frühstückt der Vorstand regelmäßig mit den Azubis. Dabei kommen viele Ideen zur Sprache, die wir unbürokratisch prüfen. Unser Managementansatz ist, gemeinsam aus diesen operativen Sachverhalten und Herausforderungen die passende Strategie zur Lösung zu erarbeiten. Wichtige Entwicklungen präsentieren wir in unseren Townhall-Meetings, zu denen einige hundert Mitarbeiter genauso kommen wie Vertreter des Aufsichtsrates. Wir vom Vorstand sind dabei oft Überzeuger und Entertainer in Personalunion. Auch wenn es viel um Zahlen und Strategie geht, diese Treffen dürfen nie langweilig sein.
Welche Rolle spielen Sie dabei?
Ich bin im Vorstand für die Produkt-Entwicklung, unsere beiden Produktionsstandorte, den Einkauf und das Qualitätswesen zuständig. Das ist eine breite Palette. Als technikaffiner Mensch beschäftige ich mich mit den Themen Optik, Mechanik, Elektronik sowie neuen Technologien, so zum Beispiel alles rund um die Konnektivität unserer Produkte. Diese Themen gilt es, für die Mitarbeiter begreifbar zu machen. Jeder muss wissen, welche Bedeutung er für diese Firma hat, egal in welcher Position.
Dann muss sich ein Hochschulabsolvent stark spezialisiert haben, bevor er sich bei Ihnen bewirbt?
Nicht unbedingt. Es ist wichtig, dass er das grundlegende Rüstzeug mitbringt, ebenso ernsthafte Begeisterung für unsere Produkte und die Marke Leica. Dabei muss er nicht zwangsläufig fotografisches Talent haben, das habe ich selbst übrigens auch nur sehr begrenzt. Klar achten wir auch auf Abschlussnoten, aber diese sind nicht ausschließlich ausschlaggebend. Vielmehr überprüfe ich, ob die Studienfächer und Ausbildung eines Studenten zu der Position passen, auf die er sich bei uns bewirbt. Das weitere Knowhow zur Spezialisierung erlernt er dann bei uns.
Dann dürfte es Ihnen an Nachwuchs nicht mangeln, oder?
Natürlich spüren auch wir die verstärkte Nachfrage an Fachkräften. Wobei unsere größte Herausforderung nicht die entsprechende Qualifikation der Bewerber ist. Wir suchen vielmehr nach Persönlichkeiten, die sich vorstellen können, langfristig und mit Enthusiasmus bei uns zu arbeiten. Keine Jobhopper. Das macht den Unterschied. Dafür unterstützen wir die hausinterne Jobrotation. Wer sich alle drei bis vier Jahre mit einem neuen Thema beschäftigt, lernt viel dazu. Das gilt auch für die Management-Ebene.
Was kann Leica für Wirtschaftsabsolventen konkret bieten?
Wir wandeln uns aktuell von einer reinen Hardware-Firma in ein Hardware-, Software- und Service-Unternehmen. Bei uns treffen Technik, Innovationen und Wirtschaft aufeinander. Wer Interesse an allen Themen mitbringt, kann bei uns ganz klassisch in den Bereichen Marketing, Finance, Controlling oder Vertrieb einsteigen. Gerade der Vertrieb ist hochspannend, weil wir 90 Prozent unseres Umsatzes im Ausland machen.
Wie sollten sich BWLer während ihres Studiums auf den Leica-Job vorbereiten?
Da fallen mir zwei wesentliche Punkte ein. Erstens: Unbedingt ins Ausland gehen, wann immer es möglich ist. Egal wohin. Die Welt hört nicht hinter den Landesgrenzen auf. Und zweitens: Praxiszeiten ins Studium einplanen. Ich selbst war während des Studiums nur einmal für kurze Zeit in Frankreich. Wenn ich nochmal jung wäre, würde ich viel mehr Zeit meiner Ausbildung im Ausland verbringen wollen. Asien finde ich derzeit äußerst spannend. Mal in Kambodscha zu arbeiten bringt sicher spannende Erfahrungen.
Wie international ist die Arbeit der WiWi-Absolventen bei Ihnen tatsächlich?
Sehr international. Wir haben 14 ausländische Tochtergesellschaften. Wir produzieren neben Wetzlar auch in Portugal, hier gibt es Austauschprogramme für interessierte Mitarbeiter. Wenn es um Produktmanagement, Sales oder Vertrieb geht, bieten sich Tätigkeiten in unseren Hauptabsatzmärkten Japan, USA und Frankreich an. Es könnte aber auch für ein paar Monate nach Indien oder Singapur gehen. Wir brauchen Absolventen, die internationale Erfahrungen mit neuen, modernen Ansätzen kombinieren können. Wir brauchen Konzepte für Länder, in denen es bis heute noch keine Leica-Produkte zu kaufen gibt. Wie können wir die Märkte in Brasilien oder Indien erobern? Das sind Aufgaben für die Zukunft, um das Unternehmen innovativ voranzubringen.
Zur Person:
Markus Limberger, 46 Jahre, ist seit 2011 Chief Operating Officer im Vorstand der Leica Camera AG mit 1.600 Mitarbeitern weltweit. Direkt verantwortlich ist Limberger für die beiden Produktionswerke in Wetzlar und Famaliçao (Portugal). Als Diplom-Wirtschaftsingenieur begann er 1994 seine Karriere bei Rodenstock Präzisionsoptik mit späteren Führungspositionen in der Logistik, Beschaffung und Produktion.
Das Interview ist zuerst erschienen im Hochschul- und Karrieremagazin audimax, 2016.